Als die Kämpfe vorbei waren, ließ Evi sich ein bisschen von dem ganzen Jubel und der Stimmung mitreißen. Der Schrecken, der vor allem dem gewaltsamen Aufeinandertreffen von Léo und Seeker gegolten hatte, war schnell verflogen gewesen. Spätestens bei Léos Worten, wo selbst jeder Außenstehende sehen hatte können, dass die beiden Frauen einander ähnlich waren, war die Anspannung einer Begeisterung gewichen. Und auch Haile hatte einen Gegner gehabt, mit dem sie in stummen Einverständnis gekämpft hatte. Es hatte auch einfach gepasst, als hätte es genau so sein müssen.
Solche Dinge verstand sie, gestand die Taucherin sich ein, und musste an das Gespräch mit Pray zurückdenken. "Du würdest es sowieso nicht verstehen, du Kind der neuen Welt.", hatte er gesagt. Aber nach seinen Ausführungen hatte sie gemeint, seine Worte doch irgendwie nachvollziehen zu können. Weil ihr Vater auch so sehr an der alten Welt festgehalten hatte. "Ich kenne die Bibel, weil die Freunde meines Vaters ihn oft scherzhaft Noah genannt haben. Du weißt schon, wegen der Arche, weil er uns alle aufs Wasser gebracht hat, um uns zu retten.", hatte sie Pray erzählt. So hatte sie viele Dinge mitbekommen und gelernt, die niemand in ihrem Alter wissen konnte, der keine Verwandten mehr von früher hatte.
Aber jetzt in diesem Moment schämte sie sich für das, was sie zu dem alten Mann gesagt hatte. Es war etwas völlig anderes, wie ihr Vater von der alten Welt zu erzählen und sie sich zurückzuwünschen, als selbst zwanzig Jahre nach dem großen Zehren noch an einem Glauben festzuhalten. Obwohl alles um einen herum sich geändert hatte.
Sie konnte es wirklich nicht komplett nachvollziehen. Aber als die Vultures Haile zujubelten und Léo feierten, hatte sie begeistert mit eingestimmt, weil sie das verstand. Voll und ganz.
Inzwischen war es Abend geworden, und die Vultures feierten über die neue Bindung, die zwischen ihren Clans entstanden war. Was hier plötzlich herumgeküsst wurde...
Evi stellte amüsiert fest, dass sie, wenn sie an ihre eigene Gruppe der Adam-Begleiter dachte, tatsächlich anfing den Namen "Hoppari" zu benutzen. Das gefiel ihr irgendwie. Auch wenn ihr inzwischen aufgefallen war, dass es offenbar ein bisschen anders ausgesprochen wurde.
Sie hätte gerne sofort mitgefeiert, aber erst einmal mussten sie irgendwann wirklich zurück ins Lager. Deshalb wartete sie, ob Lancaster und die anderen gleich los wollten. Dabei vermied sie geflissentlich den Blick des Gefangenen, der jetzt Léo "gehörte". Sie war sich ziemlich sicher, dass er sich an sie erinnern musste, wenn er sich auch an Haile erinnerte. Und sie hatte ihn nicht befreien wollen, was ihr nun doch ein bisschen unangenehm war. Auch wenn sie jederzeit wieder dieselbe Entscheidung treffen würde. Aber das musste man ja nicht unbedingt sagen.
Von "Ich glaub die ganze Scheiße geht unter" über "Scheiße wir machen gemeinsame Sache mit wilden Irren" wieder hin zu "Mensch, das läuft echt geil."
Machte er sich zu viele Sorgen?
Die Gedanken in seinem Kopf rasten wie üblich. Es gab so viel zu bedenken, so viel zu beachten, so viel zu planen. Lancaster kannte nur eine Seite des Konfliktes. Das macht es einfacher sich erstmal auf ein Ziel zu konzentrieren, aber er müsste definitiv herausfinden was bei diesen Sabal Typen abging.
Hoffentlich hatten die anderen sich ber...
Er fühlte wie ihm etwas in die Hand gedrückt wurde. Dann die festen Hände von Seeker Vulture an seinen Schläfen. Sie rückte seinen Blick gerade, er sah das Feuer in Ihren Augen ehe er einen langen, leidenschaftlichen Kuss erhielt.
Seine Augen blieben weit offen und er konnte genau sehen, dass dies bei Seeker nicht der Fall war.
Sie lehnte sich so richtig in den "Gebrauch der Hope'Ari" rein und genoss jede Sekunde davon.
Die Vultures brachen in Gejubel aus. Voodoo eröffnete die Feierlichkeiten. Die Vereinigung der verschiedenen Blüter. Rein metaphysisch gesprochen, auch wenn Lancaster sich nicht sicher war ob Seeker das auch so beibehalten würde.
Er fühlte wie sich die warmen Lippen der leidenschaftlichen Kriegerin von seinen lösten.
"Bruder im Geiste. Bruder im Blute."
Lancaster schaute Seeker lange an. Er neigte gerne dazu voll und ganz in seinen Rollen aufzugehen und sich selbst für den Moment zu vergessen. Er musste sich ständig in Erinnerung behalten was er vorher war, was er wieder werden musste.
Es fiel ihm zunehmend schwer zwei Persönlichkeiten im Kopf zu behalten, zu spielen, zu leben. Mit ihnen zu denken, essen... atmen. "Reiß dich zusammen..."
"Schwester im Geiste. Schwester im Blute. Der Clan Hope'Ari liebt dich und deine Familie für sein Vertrauen."
Lancaster drehte sich zu der Menge die sich bereits anfing in Ekstase zu tanzen.
"Freie Krieger der Vultures! Die über das Land ziehen wie ein Vogel seine Bahnen am Himmel fliegt! Ihr schenkt uns mehr Ehre als unsere Körper es ertragen können! Breitet eure Arme aus wie ein Geier seine Flügel. Zeigt uns, dass euer Stolz so groß ist, wie die Spannweite eures Seelentiers!"
Dann drehte Lancaster sich wieder zu Seeker Vulture um.
"Vielen Dank Seeker. Mein Clan muss von eurer Großzügigkeit erfahren. Wir werden uns bald auf den Weg zu Ihnen machen. Die Botschaft wird sie mit wilder Kraft erfüllen. Doch zunächst genieße ich noch die Feier unserer Clans."
Der Geschichtenerzähler versuchte das Bild seines Clans aufrecht zu erhalten. Er legte seine Linke auf Seekers Kopf und küsste sie.
So wie alle seine Freunde zuvor jemanden des Stammes küssten.
Lancaster wandte sich ab. Er steckte sich die Sichel in den improvisierten Gürtel und lief um das große Lagerfeuer herum.
Er musste noch etwas klären. Etwas sehr dringendes klären.
Sein Blut fing bei dem Gedanken bereits an zu kochen. War das wirklich er? Oder war das Laangkaster, die Rolle die sich ihm schnell über den Kopf zu entwickeln drohte.
Léo hatte sich nicht unter Kontrolle. Damit hatte er ein großes Problem. Dass Ihr Verhalten sie nicht umgebracht hat, war ein Glücksfall. Aber alleine die Tatsache, dass sie nicht auf den Anführer der Gruppe hören wollte und sich von Ihren Gefühlen vollkommen übermannen ließ... wie sollte er das dulden können?
Léo war gefährlich und Lancaster wusste nicht ob er die junge Frau ungestraft davon kommen lassen sollte.
Er konnte genau sehen wie Léo dort stand. Mit Ihrem "Sklaven". Das war für Lancaster nur ein weiterer Beweis gewesen, dass er die Latina nicht in der Gruppe halten konnte ohne weitere Konflikte zu provozieren. Er musste sich etwas überlegen...
Sein Gesicht war wieder von heller Aufregung gezeichnet. Sein Verhalten abrupt und rabiat.
Ohne lange zu Überlegen griff er Léo am Arm.
"Mitkommen."
Er blickte Sie kurz an ehe er zischte.
"Sofort."
Eigentlich ließ er ihr keine wirkliche Wahl da er den Griff nicht lockerte und sich einfach weiterbewegte.
Er zerrte die junge Frau mit in eine einsame Hütte.
Stickige, heiße Luft. Das Atmen fiel schwer.
Der Geschichtenerzähler drückte Léo an einen der Pfeiler welcher das Dach der Hütte hielt. Sein Blick fest auf die Augen der verführerischen Frau konzentriert.
Mit offenem Mund starrte er sie lange an ehe er mit bebender Stimme weitersprach.
"Léocadia Arellano-Felix..."
Sein Blick durchbohrte Ihre Augen. Als würde er etwas lange Vergessenes und Verlorenes suchen.
Wo sonst der Blick des gutmütigen Geschichtenerzählers war... war etwas anderes. Es war auch nicht der wütende, kriegerische Laangkaster.
Sein Blick war so vollkommen anders. Jünger, erfrischter. Er wirkte... echter.
"...ich weiss genau wer du bist Léo. Ich habe lange gebraucht bis ich dich zuordnen konnte. Aber ich kenne dich. D52."
Sein Gesicht kam immer näher.
"Hju... ich habe nicht vor eine große Erkennungsparty zu schmeißen. Aber es wäre schön jemanden zu haben bei dem ich einfach wieder... Hju... sein kann..."
Pray hatte Evi lange angesehen, nachdem sie ihm die Geschichte ihres Vaters erzählt hatte.
Dann hatte der alte Mann geschwiegen und nach einer gefülhrn Ewigkeit geflüstert: "Es ist nie zu spät, anzunehmen, was uns auch in der alten Welt Trost gespendet hat.
Wenn du dich fragst, wie diese Welt werden konnte, wie sie ist und wurde, dann solltest du wissen, dass es nach dem großen Zehren und dem großen Brand nur noch drei Arten von Menschen gab."
Er hielt drei Finger hoch und sah sie ernst an.
"Die Hoffnungsvollen, die zu Siedlern wurden."
Er nahm einen Finger herunter.
"Die Wahnsinnigen, die sich dem Kult angeschlossen haben."
Ein weiterer Finger.
"Und die Zornigen, die zu den Clans wurden."
Er nickte traurig.
"Der Glauben an Jesus Christus gab uns in früheren Zeiten den Mut, Gutes zu tun. Doch diese Zeiten sind vorbei. Wenn du umgeben bist von tollwütigen Tieren, dann musst du selbst tollwütig werden. Also wurden wir alle Diener einer anderen göttlichen Macht. Einer Macht, die uns Hass, Zorn und Kraft lehrte. Und die uns überleben ließ.Das Leben mit diesen Riten zu feiern, das ist nicht falsch. Mit den Lebenden zu jubeln, das ist es das größte Geschenk an den Gott, der uns die Leben geschenkt hat."
Er lächelte sanft.
"Vielleicht erzähle ich dir eines Tages wie wir wurden was wir sind, Teeth Hope'Ari, so wie sie dich nun heimlich nennen, während sie dir bewundernd hinterherblicken."
Und dann war Evi gegangen...
---
Seeker blickte Lancaster hinterher, die Augen voll Jagdfieber und auf der Zungenspitze noch den Geschmack seines Kusses.
Laangkaster von den Hope'Ari...
Die Vulture sah, wie er sich zu ihrer Schwester vom anderen Clan begab und sie erkannte die Spannung zwischen den Beiden sofort und plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, woher der anfängliche Hass des Affenmädchens gerührt haben musste und sie lachte aus vollstem Halse, während die kleine Wunde von Leo Machete im Takt ihres fröhlichen Lachens schmerzte.
Sie kannte zwar nicht die Gebräuche der Hope'Ari, aber was sie betraf, war sie ganz Kind der gefiederten Schlange: Sie nahm alles, doch besaß nichts.
Geändert von Daen vom Clan (25.09.2015 um 23:57 Uhr)